Freunde von Stefan-Grinsebildern müssen sich leider auf die Saison 2024 gedulden:
Kategorie: Uncategorized
Ein 42,19 km Sport-Ereignis – ohne Fahrrad (GMM 2023)

Dem Stammleser dieses Blogs sei vorab gesagt – der folgende Artikel enthält keine Abhandlungen von Kettenabwürfen, kaputten Umwerfern, Platten (trotz oder sogar wegen tubeless?) oder Wahoo/Komoot/Strava Fehlplanungen. Wer denkt, das liegt nur an der professionellen Vorbereitung des Artikel-Verfassers, der täuscht sich. Der Laufsport braucht keine Kette oder Reifen, und gilt daher als sehr pannensicher – oder hat jemand mal einen Läufer im Wald gesehen, der Werkzeug brauchte? Aber genug der Einleitung…
Nach meiner Krebs-Pause 2020 gab es einige Radfahrten aber keine wirklichen sportlichen Ziele oder Rennen. Göttingen 2023 zählt für mich nicht als Rennen – man kann bis 9:00 Uhr schlafen, die Strecke ist schön – und auch für den ambitionierten Hobby Radler machbar. Eine Arbeitskollegin aus UK und ein Studienfreund aus dem Nachbarort fragten mich innerhalb kurzer Zeit beim gemeinsam „Feierabendlauf“ -> Wieso ich denn nichtmal einen Marathon laufe…
Ich habe einige Tage überlegt, aber keine wirklich gute Ausrede gefunden… Das „Projekt Marathon“ war geboren. Es sollte der München Marathon am 08. Oktober 2023 sein, da dieser auch von meinem Studienfreund und Autor meines Trainingsplans anvisiert wurde 🙂
Also ging es nach einigen Trainingsläufen zur Laufanalyse nach Offenbach https://schneider-piecha.de/ (dem Sanitätshaus, in dem auch https://fahrradbiometrie.de/ ansässig ist). Es gab Laufschuhe von Brooks-Ghost mit speziell angepassten Lauf-Einlagen. Zudem wurde zur Telemetrie/Unterhaltung beim Training eine Apple Watch SE 2022 (40mm) angeschafft.
Da nur (gutes) Material kaufen noch keinen Läufer „schnell“ gemacht hat, wurde auch trainiert. Etwa 100- 130km / Monat. Grob eingeteilt in langweilige GA1 Ausdauereinheiten, Intervalleinheiten und wenige schnellere aber kürzere Läufe.
Zum Thema „schnell“ und „langsam“ ergibt sich noch die Frage – was ist eigentlich das Ziel des Projekts Marathon? Zur Auswahl standen: 1. Dabei sein ist alles, 2. Hauptsache ankommen, (es ist ja schließlich der erste Marathon) oder 3. ein Zeitziel. Die Auswahl ist auf 3. gefallen – als Freund von „runden“ Zahlen wurde das Ziel ausgerufen, Marathon in unter 4h.
Mit einer Zielzeit von 4h schlägt man in der Regel 50% der erfolgreichen (also ins Ziel gekommenen) Läufer. Da Laufsport seine eigenen Regeln hat, wird immer von „Pace“ geredet, wenn es um Geschwindigkeit geht – genau genommen ist das der Kehrwert selbiger. Die Einheit der Pace ist min/km. Für das angestrebte Ziel müssen die 5:41 min/km unterboten werden…
In der Woche vor dem Marathon gab es Koffein-Verbot, Laufverbot (aber nur für mich, mein Coach musste unbedingt „weitertrainieren“) – und 3 Tage vorher wurden bereits viele Kohlehydrate gespachtelt. Der Tag vor dem Wettkampf wurde in Ingolstadt zum Auffüllen der Flüssigkeitsspeicher und für einen 6 km „Aktivierungslauf“ genutzt.
Der Wettkampf startete in Startblock B um 9:05 (theoretisch) bei perfektem Wetter. Die Startblockzuteilung war durch reines Eintragen einer Zielzeit beim Anmelden erfolgt. Die sogenannten „Pace-Maker“ waren sinnigerweise alle auf 9:00 getrimmt, sodass es für mich, mit der realen Start-Linien-Überquerung um 9:08,1s – komplett nutzlos war, mich an einer solchen Gruppe zu orientieren. Also musste ein teuflischer Plan her – nur die Apple-Watch und ich – gegen die „Uhr“.
Dank Wettkampfaufregung war der Puls direkt nach dem 1. km bei 159 bpm. Die Idee war einfach: Sich über die ersten 21km einen kleinen Puffer zu erarbeiten, ohne dabei zu viele Körner zu lassen. Mein längster Trainingslauf waren 30km. Alle sagten mir – bei km 30 kommt der Mann mit dem großen Hammer. Da es Berge nicht gab, und Windschatten beim Rumgurken mit 10-11km/h nichts bringt, konnte man sich voll auf Puls/Pacing und regelmäßiges Trinken konzentrieren. Es wurden 4x 67ml Hydro-Gels in der Geschmacksrichtung orange ins Radtrickot (ja, liebe Radsportfreunde, doch noch was gefunden :)) und 2x Hydro-Gels Cola (mit jeweils 100mg Coffein) in die Laufhosentasche gesteckt. Die Laune war gut, die Pace (5:33) und der Puls (=165 bpm) stabil. Jeder km wurde mit Vibrations-Alarm der Apfel-Uhr zelebriert. Die ersten Gels wurden bei km 7 und 14 bzw. 20 aus dem Trikot gezaubert. An den Verpflegungsständen wurden aus dem Lauf heraus Wasserbecher mit genommen bzw. getrunken – und in einigen Fällen sogar fachgerecht durchs Werfen in die aufgestellten Müllbehälter entsorgt. Von km 7 bis 20 war der Puls bis auf +- 1 Schlag angetackert bei 165 bpm und jeder km ergab einige Sekunden zusätzliches „Polster“. Alles in allem eine perfekte 1. Hälfte. (5:33,7 Gesamt-Pace); zur guten Stimmung haben neben vielen Zuschauern an der Strecke zwei Live Bands beigetragen.
Bei km 21+22 war es dann soweit -> die Wohlfühl-Pace ist auf 5:45 und 5:46 „eingebrochen“, der Puls blieb stabil bei 165 bpm. Ein Joker musste her, diese Zeiten bis km 42 halten zu wollen, ohne auch nur eine Sekunde Reserve zu haben, grenzt an russisch Roulette. Vor allem, was tückisch ist: Wer sagt einem, wie lang die Strecke laut GPS-Uhr ist? Wer garantiert mir, dass ich 42,19 km laufe – und nicht 42,3 oder sogar 42,5, weil „kein Grip auf der Ideallinie“ war? Steve Jobs leider nicht mehr… 🙁
Der Joker hieß Hydro-Gel Cola und wurde aus der Tasche gezogen. Das Gel habe ich langsam über 1,5km verteilt zugeführt, um langfristige Wirkung zu erzielen. Die Pace ist auf den folgenden 3 km wieder deutlich unter 5:40 gewesen, und hat den Puls auf 173bpm gehoben, aber mich zurück auf Kurs gebracht (25km, Pace 5:34,6). Ein Glück, waren es nur noch 17,2 km bis ins Ziel, weshalb ich den Joker an der Stelle Trick 17 taufe.
Zitat „Die ironische Wendung „Trick 17 mit Selbstüberlistung“ bezeichnet jedoch als spöttischer Kommentar einen (meist vermeintlich raffinierten) Lösungsansatz, der auf mehr oder minder komische Weise scheitert.“
Das waren also super Aussichten. Zurück zum Renngeschehen – der 28. km wurde mit 5:45 zurückgelegt, welcher natürlich etwas Puffer kostete, aber etwas Puffer ist ja eingeplant. Km 29-32 grenzten an einer Katastrophe. Trotz trinken bzw. Gel Einsatz war die Pace bei 6min. 10km bis zum Ziel und die Sicherheit – das ist zu langsam! Die Beine beginnen an zu brennen – der Mann mit dem großen Hammer ist da! Dieser bringt nicht nur Schmerzen, sondern laut Puls-Uhr auch einen niedrigen Puls von „nur noch 166 bpm“. Und alle Sportler wissen es – Puls ist wie Spülmittel: Viel hilft viel!
Die folgende Methode ist nicht zum Nachmachen zu Hause geeignet: Externes Pacing – sich an jemand oder jemandin dran hängen, die eigentlich zu schnell läuft, sämtliche Körperreaktionen / Kopfbefehle ignorieren – einfach nur hinterher! DANKE Sophie #2740 – Das Highlight der Aktion: bei km 34 und 35 mit jeweils 5:34 und 176 bpm.
An der vorletzten Verpflegungsstation bei km 36 oder 37 verliere ich Sophie, warum genau weiß ich nicht mehr. Die Pace war gut, der Puls weiter im Anschlag. Dass diese Aktion natürlich nicht ohne Folgen bleiben sollte, zeigt sich nach km 39. Ein Gefühl von leicht einsetzenden Krämpfen und katastrophaler Pace von 6:21. Auf die Uhr gucken und noch irgendwas „checken“ – Fehlanzeige. Ob die Kilometer auf den Schildern noch zu jener auf der Uhr passen – kA. Die Apple-Watch hat auf jeden Fall schon was von 5% oder 10% Akku – bitte Laden angezeigt – und ist daher nicht mehr mein Trumpf. Die letzte Verpflegungsstation baut sich vor mir auf. (Da gehen ja wohl nur die hin, die sich ihr Rennen schlecht eingeteilt haben…..)
….und ich! – Die Angst, beim Anhalten Krämpfe zu kriegen und, wie schon viele andere Mitläufer am Straßenrand zu liegen, wird ignoriert – Alle mit genommenen Gels waren alle. Es folgt kurzes Gehen und Wasser, ekeliges Iso und ein Stück Banane! Es folgt das letzte Loslaufen, erfreulicherweise ohne Krampf 🙂 Es sind nur noch 2,2km – und die Uhr zeigt 5:40 gesamt Pace, das kann zu viel sein… Das Einlaufen Richtung Olympia Park/Station ist voller Zuschauer gespickt. 5:32 und 5:35 mit 178bpm – mit dem Gefühl es KÖNNTE reichen. „Schlusssprint“ (350m mit 5:15).
Ich drücke „Training-Beenden“ auf der Watch – sie zeigt 3:59min 27s. Das offizielle Timing bestätigt eine 3:59:28s. Ich kann kaum noch gehen, aber verdrücke einige Freuden/Stolz-Tränen – Das gesetzte Ziel „einfach nur für mich“ ist erreicht! Besonders wenn ich daran denke, dass ich vor genau 3 Jahren am „Tropf“ hing und sportlich gar nichts mehr konnte… So kann ich heute wieder sagen: Läuft bei mir – diesmal aber im besseren Kontext!
Ich danke an der Stelle allen, die mich auf dem Weg dahin unterstützt haben!
European Gravel Championships 2023
Nachdem im Mai mit dem „3Rides Gravel“ in Aachen das erste Gravelrennen für das DGD Racing Team auf dem Programm gestanden hatte, wurde spontan entschieden, sich für die Gravel-Europameisterschaften im belgischen Brabant (bei Leuven) anzumelden. Die EM ist Teil der UCI Gravel World Series 2024 und es werden sowohl die Europameister als auch die belgischen Meister gekürt. Weiterhin kann sich über das Rennen auch für die WM 2024 qualifiziert werden, die ganz in der Nähe im schönen Leuven stattfinden wird.
Die frühe Anreise am Samstag wurde von Daniel und Heiko genutzt, um alle Streckenkilometer probe Fahren zu können. Das Rennen besteht (abhängig von der Altersklasse) aus drei kurzen Runden durch die dichten Wälder südlich von Leuven und einer langen Runde Richtung Brüssel und zurück. Bei gemütlichem Tempo und bestem Wetter wurde die Strecke erkundet und folgende Erkenntnisse gemacht: keine langen Anstiege, mehrere technische Abfahrten, viel Kopfsteinpflaster, viele schöne Feldwege, viel feiner Schotter und im Wesentlichen kein Matsch oder Gras. Insgesamt eine sehr schöne Strecke, die zwar schnell, aber im Renntempo sicherlich nicht leicht sein würde.
Die Startunterlagen bei der Europameisterschaft wurden von Funktionären der UCI höchstpersönlich ausgegeben. Hierbei traf man auf den klassischen Sportfunktionär, wie er im Buche steht: männlich, mit Wohlstandbauch, etwas in die Jahre gekommen und aalglatt (Jede Assoziation zu Willi Konrad wäre natürlich völlig aus der Luft gegriffen). Auf seinen Kommentar „We do it for the money“, wusste Heiko auch nicht mehr zu sagen, als dass Sie sich ja mal bei den Ironman-Veranstaltern Tipps holen können, wie man den Teilnehmern noch mehr Geld aus der Tasche ziehen kann. Immerhin war man sich sicher, dass die Startgebühr der fast 2000 Teilnehmer im nahegelegenen Sternerestaurant Arenberg sinnvoll investiert wurde. Das Starterfeld war sehr prominent besetzt. Neben der gesamte europäische Gravelelite nahmen auch viele aktuelle und ehemalige Straßenprofis am Rennen teil. Teilzeit-Radrennfahrer Valtteri Bottas war ebenfalls am Start.
Aufgrund des sommerlichen Wetters Anfang Oktober, der späten Startzeit von 12 Uhr und der geschätzten Fahrzeit von 4h15min musste sich im Rennen auf eine „Hitzeschlacht“ eingestellt werden. Demzufolge wurde wieder die bewährte Strategie mit einer dritten Trinkflasche in der Trikottasche angewendet. Dies sollte sich als gute Wahl erweisen. Ca. 45 Minuten vor Rennstart fanden sich Daniel und Heiko im Startblock ein. Dies erlaubte zwar eine ordentliche Position in der Mitte des Blocks, bedeutete aber auch, dass man noch ein wenig in der Sonne gegrillt wurde. Die Renntaktik war klar: keine unnötigen Risiken eingehen und versuchen zusammenzubleiben. Ersteres konnte erreicht werden, letzteres leider nicht.
Direkt nach dem Start ging es nach einer scharfen Linkskurve von der Zielgeraden auf einen schmalen und steilen Waldweg. Dort kam es, wie zu erwarten war, zum ersten Stau. Hier wurden Daniel und Heiko trotz flotter Fahrt von vielen übermotivierten Fahrern überholt. Nach dem ersten Anstieg war das Feld aber glücklicherweise etwas ausgedünnt und man konnte relativ schnell seinen Rhythmus finden. Ungünstigerweise verloren sich Daniel und Heiko bereits in den ersten 5 Rennminuten und fuhren ab dann ihr Rennen getrennt.
Ein wiederkehrendes Thema des Rennens waren bedauerlicherweise die vielen Kettenabwürfe, die sowohl am Ridley als auch am Stevens vorkamen. Nachdem man am Vortag schon festgestellt hatte, dass dies in den technischen und holprigen Abfahrten auch ohne Schalten passieren kann, wurde im Rennen mehr nach dem Prinzip Hoffnung gefahren. Ohne Erfolg. Insgesamt hatte Daniel 3 Abwürfe und Heiko ganze 6! . Hier muss auf jeden Fall nochmal technisch nachgerüstet werden.
Ansonsten lief das Rennen für Heiko insgesamt gut. Die Verpflegung mit Essen im Rennen klappte gut und es konnte bis zum Schluss des Rennens Druck auf das Pedal gebracht werden. In der letzten Runde dienten die Geräusche des sich nähernden TV-Helikopters nochmal als Motivation, sich nicht von der Spitze des Eliterennens überrunden zu lassen. Mit Erfolg. So kam Heiko nach 4h9min in Ziel, knapp 1 Minute vor Jasper Stuyven. Leider wurde damit die WM-Qualifikation denkbar knapp um eine Minute verpasst. Daniel war nach dem frühen ersten Kettenabwurf weiter hinten im Feld einsortiert und war dauerhaft mit deutlich schwächeren Fahrern in Gruppen. Dadurch vergrößerte sich sein Rückstand kontinuierlich und er kam mit einer Zeit von 4h21min ins Ziel. Dort wurde sich dann erstmal ein eiskaltes Jupiler gegönnt.
Insgesamt war das Event, vor allem im Vergleich zu Aachen, einem Gravelrennen würdig. Positiv zu erwähnen waren auch die Tausenden Zuschauer am Streckenrand, die von der Elite bis zum Hobbyfahrer alle Athleten frenetisch anfeuerten. Hier macht sich klar bemerkbar, dass Fahrradfahren in Belgien Nationalsport ist.
Epilog: Daniel und Heiko entschieden sich dazu, das Rennen in einem leckeren griechischen Restaurant in Leuven ausklingen zu lassen. Die Anreise zu Fuß klappte auf dem Hinweg auch gut. Auf dem Rückweg im Dunkeln wurden die beiden aber von der Apple-Maps-Navigation „komooted“ und der eingezeichnete Fußweg endete nach einer längeren Durchschlagübung durch hohes Gestrüpp in einem Schilfhain. Ein Umdrehen war unausweichlich. Schlussendlich konnte das Hotel trotz des ungewollten Umwegs, wenn auch mit nassen Füßen, erreicht werden.
Ötzi 2023 – Pacing nach Bauchgefühl
Von den ursprünglich vier gemeldeten Fahrern sollten nach Krankheits- und Trainingsausfällen nur Heiko und Moritz an den Start gehen. Diese beiden dafür aber mit Rekordkilometern (knapp 6000 bzw. 7000) zur Jahreshalbzeit in den Beinen. Der Startplatz wurde nach abgeschlossener Familienurlaubsplanung im Hause Egert in der Nachverlosung ergattert, was zu diversen Zusatzschwierigkeiten sorgte: Moritz kam aus dem Raum München nach (geplantem) Fahrzeugwechsel im Auto seiner Mutter angereist, Heiko kam direkt aus Darmstadt und mit dem Starterbeutel und einer vorbildlichen Tapering Einheit im Gepäck mussten noch 600 Höhenmeter mit den Autos auf einer unbefestigten Straße ins Hotel gefahren werden, was anderes war eben nicht mehr frei, und just am Vorabend des Ötzis beschloss der hiesige Koch dem traditionellen französischen Saucenrezept « man nehme eine Flasche Rotwein und fülle sie in den Koch… » zu folgen, was das Carboloading zu einer dreistündigen, unorganisierten Ausdauerpartie machte. On the good side: keine Zeit, sich Stress vor dem Rennen verrückt zu machen.
Auf gehts!
Der Wecker wurde auf 4:45 gestellt, eine Stunde später drängelten sich die beiden Racing Team Fahrer noch professionell nach vorne, was hier relativ zu sehen ist und nach Heikos Analyse des Veranstaltervideos ungefähr Platz 1200 entsprach, und schneller als gedacht war man mitten drin im Rennen, das beide Fahrer wie geplant getrennt bestreiten sollten.
Das ambitionierte Ziel war, bei der ersten Teilnahme und fast komplett ohne Streckenkenntnis, direkt unter der magischen Grenze von 8h zu bleiben. In der Abfahrt nach Ötz konnte ich gefahrlos mehrere hundert Plätze gut machen und nach kurzem Stau auf den ersten 3km konnte ich die anvisierten 300W am Kühtai entspannt abspulen. Sogar der Auftrag, Flo Neuschwander von meinem Nachbarn zu grüßen, konnte mit einem lockeren Plausch abgeschlossen werden. Mit bis zu 104,6kmh rauschte es nach Innsbruck in einer größer werdenden Gruppe runter und am Brenner konnte ich im Windschatten wie geplant Kraft sparen und Energie nachtanken. Die Trinkstrategie sah bis dahin 2l Iso vor und mit einer kleinen Attacke vor der Verpflegung am Brennerpass konnte ich das Nachtanken in unter 2 Minuten erledigen, Pappbecher Red Bull inklusive.
Was nicht passieren darf…
Das sollte trotzdem zu wenig sein, denn wie so oft merkte ich von den hohen Temperaturen gar nichts (sehr gut) und schwitzte viel mehr als ich dachte (nicht sehr gut, wenn man nicht genug trinkt). Der durchgängig hohe Puls um 165 trotz vorbildlich gedämpfter Fahrweise (240-250W) hätte mich misstrauisch und auf den Pfad „einsetzende Dehydrierung“ bringen müssen, aber im Rennen ist man nie so schlau wie nachher beim Bier. Wasser hätte es am Jaufenpass oben zuhauf gegeben, als ich mich a Position 170 liegend in die schöne, technische Abfahrt stürzte. Ich wartete aber bis zum Fuß des Timmelsjochs um mir von Katie die bestellten, hochkonzentrierten Iso-Pullen reichen zu lassen. Letztere trank ich dann viel zu schnell um den Durst zu stillen und es war um den Magen geschehen — über 20 Minuten Zwangspause am Streckenrand. Bis dahin lag ich auf Kurs 7h50. Mega, und ebenso mega die Enttäuschung, einfach nicht mehr fahren zu können.
Doch noch ordentlich im Ziel
Ich verlor fast 150 Positionen, berappelte mich aber zu meiner größten Überraschung nochmal und konnte, auch dank des Weltklasse Domestique Alex, ordentlich zu Ende fahren und Positionen gut machen. Am Gegenhang zur Mautstelle waren die Beine sogar wieder zu 280W bereit und mit einer sauberen Abfahrt brachte ich meinen ersten Ötzi auf Platz 277 zu Ende. In der Nettofahrzeit erreichte ich mein Ziel sogar: 7:59:15. Mit Pause natürlich nicht. Hoffentlich gibt es dazu nächstes Jahr die Chance. Bis dahin wartet erstmal in zwei Wochen mein eigentlicher Saisonhöhepunkt Giro Delle Dolomiti.
Ötzi – knapp das Ziel übertroffen
Aus einer winterlichen Bierlaune in Lanzarote heraus geboren, meldeten sich ursprünglich 4 Fahrer des DGD Racing Team beim Ötztaler Radmarathon an (Teamanmeldung). Die statistisch erwartbare Absage (ca. 75 %) durch den Veranstalter verwunderte daher erstmal niemanden. Umso überraschender kam es dann, als man über die Nachrückerregelung einen der begehrten Startplätze ergattern konnte.
Also packte man die Gelegenheit beim Schopfe und inkludierte den Ötztaler Radmarathon kurzerhand ins Rennprogramm für 2023. Als Vorbereitungsveranstaltungen wurden der Radmarathon Rhön sowie L’Alsacienne auserkoren.
Bedingt durch Trainingsrückstand nahmen leider nur Moritz und Heiko die Reise nach Sölden auf sich. Dort bezog man mangels Alternativen eine Unterkunft auf über 2000 Metern (frei nach dem Motto: „sleep high, train high“), die nur über eine waghalsige Schotterpiste zu erreichen war. Walter Röhrl hätte die Anfahrt zum Hotel vermutlich große Freude bereitet.
Am Renntag hatten Moritz und Heiko den Plan, gegen 6 Uhr am Start einzutreffen. Dies klappte auch gut, war bedauerlicherweise trotzdem im Vergleich zu den anderen Teilnehmern ziemlich spät. Unter der Führung von Moritz begann nun eine Durchschlagübung, die jeden Bundeswehrgeneral stolz gemacht hätte. Durch Büsche und Menschenmengen hindurch, schaffte man es, sich seitlich von den Radfahrern bis ca. auf Position 1200 vorzuarbeiten (konnte anhand der Videoaufnahmen grob geschätzt werden). Das Rennen vor den Rennen lief also schonmal gut. Das Wetter war ausgezeichnet und außer Armlingen für den Start konnte in Sommerbekleidung an den Start gegangen werden.
Ungefähr 3 Minuten nachdem die ersten Fahrer losfahren durften, ging das Rennen schließlich auch für Moritz und Heiko los. Da sich die Fahrer erst wieder im Ziel wiedersehen sollten, gibt es diesmal einen geteilten Rennbericht :-).
Heikos Rennbericht (Strava):
Kapitel 1: Sölden bis Ötz (KM 0 – 31.4), 123Watt, 51,4 km/h
Die ersten 30 Kilometer bergab bis Ötz ging es im „Superpeleton“ flott voran und durch geschicktes Durchmogeln konnten bis zum Kühtai einige Hundert Plätze gutgemacht werden. Laut offizieller Zeitmessung war auf dem Abschnitt nur unwesentlich langsamer als die Spitzengruppe.
Kapitel 2: Ötz bis Kühtai (KM 31.4 – 49), 258Watt, 14,1 km/h
Der erste Anstieg wurde streng nach den im Vorfeld berechneten 260 Watt gefahren. Dies erwies sich als genau richtig. Ein flottes Tempo, ohne dass man sich zu sehr verausgaben musste. Dabei wurde ebenfalls bereits an die Verpflegung gedacht und die ersten Riegel gegessen. Schließlich sollte verhindert werden, später im Rennen ins Energiedefizit zu laufen. Bei der ersten Verpflegungsstation auf der Passhöhe war erstaunlich wenig los und sowohl Iso, als auch Gels konnten ohne Anstehen bezogen werden.
Kapitel 3: Kühtai bis Innsbruck (KM 49 – 84), 119 Watt, 54,5 km/h
Dank kurvenarmer Straße und Rückenwind konnte man es auf der Abfahrt vom Kühtai gut laufen lassen. Es wurden Geschwindigkeiten jenseits von 100 km/h erreicht. Dementsprechend schnell erreicht man das Ende der Abfahrt. Von da sind es ca. 10 Kilometer bis Innsbruck. Hier erinnerte sich Heiko an die Ratschläge aus diversen Podcasts, die mit Nachdruck nahelegten, sich nach dem Kühtai einer großen Gruppe Anzuschließen, um danach im Energiesparmodus den Brenner hochfahren zu können. Leider formte sich nur eine Gruppe von ca. 10 Leuten. In der Ferne sah man einer eine deutlich größeres Feld. Also organisierte sich Heiko mit der Gruppe und dank einer gemeinsamen Anstrengung schaffte man es gerade noch rechtzeitig vor Innsbruck auf eine ca. 100 Fahrer große Gruppe aufzufahren.
Kapitel 4: Innsbruck bis Brenner (KM 84 – 120), 209 Watt, 29,1 km/h
In der riesigen Gruppe ging es anschließend, gut im Windschatten versteckt, in einem Affenzahn hoch zum Brennerpass. Die Fahrt im Feld wurde genutzt, um sich zu verpflegen.
Kapitel 5: Brenner bis Sterzing (KM 120 – 137.9), 147 Watt, 41,2 km/h
Die Pause am Brennerpass war leider etwas chaotisch, da neben des Auffüllens der Flaschen auch der Lokus aufgesucht werden musste (eventuell war etwas zu viel Koffein im Getränk). An der Toilette konnte man sich glücklicherweise „dynamisch anstellen“ und schlussendlich nur mit leichter Verzögerung wieder aufs Rad steigen. Im Wissen, dass mit dem Jaufenpass das eigentliche Rennen erst richtig losgeht, fuhr man entspannt den Brenner hinunter bis nach Sterzing, wo man nach einer unnötigen Dorframpe an den Fuß des Jaufenpass gelangte.
Kapitel 6: Sterzing bis Jaufenpass (137.9 – 153.8), 235 Watt, 13 km/h
Ab hier hat man es moralisch schon fast geschafft. Schließlich sind es ab hier ja nur noch 80 Kilometer … und 2 Pässe … und 3000 Höhenmeter 🙂 . Ab hier kann man das Rennen komplett in einem eigenen Tempo fahren, denn Gruppen spielen ab hier keine Rolle mehr. Also wurde auch der Jaufenpass strikt nach Vorgabe gefahren (235 Watt). Dies ging auch erstaunlich gut. Um die Muskeln am sehr gleichmäßigen Anstieg frisch zu halten, wurde ca. alle 2 Minuten kurz im Wiegetritt gefahren.
Kapitel 7: Jaufenpass bis St. Leonhard (153.8 bis 173.5), 23 Watt, 51,3 km/h
Die steile und technische Abfahrt bis St. Leonhard wurde vorsichtiger gefahren als zuvor noch am Kühtai. Während das Kühtai immerhin schonmal mit dem Auto befahren wurde, war der Jaufenpass gänzlich unbekannt war. Außerdem ist der Asphalt nicht immer ideal. Viel Zeit lässt sich in dieser Abfahrt aber ohnehin nicht herausholen. Während der Abfahrt zeichnete sich bereits ab, dass es auf der Alpensüdseite deutlich wärmer sein sollte als noch in Österreich – Ein heißer Föhn blies den Fahrern ins Gesicht.
Kapitel 8: St. Leonhard bis Timmelsjoch (173.5 bis 201.7), 219 Watt, 13,5 km/h
Umso freudiger wurde der einzige selbst organisierte Zwischenstopp erwartet. Denn dankenswerterweise hatte sich Katie mit Erfrischungen in St. Leonhard platziert. Zum Glück hatte Heiko am Vorabend nochmal extra Wasser und Cola geordert. Diese waren bei den Temperaturen auch bitter nötig. Nach einem etwas längeren Plausch (10 Minuten Pause) mache sich Heiko dann auf den Weg zum entscheidenden Abschnitt des Radmarathons hoch zum Timmelsjoch. Die 1600 Höhenmeter am Stück können schon beängstigend sein. Allerdings waren die Beine noch gut und die Vorgabe von 220 Watt konnte erneut genaustens eingehalten werden. Angetrieben durch sich anbahnende Langeweile machte sich Heiko am Timmelsjoch auf die Suche nach einem Gesprächspartner, um den über 2h langen Anstieg moralisch etwas zu verkürzen. Leider war den meisten Fahrern nicht zu reden zumute. Ca. nach der Hälfte des Anstieges traf Heiko aber glücklicherweise auf Extremläufer Florian Neuschwander, der das Rennen nur aus Spaß an der Freude bestritt und daher zu Scherzen aufgelegt war. Dank der netten Unterhaltung erreichte man das Timmelsjoch (gefühlt) deutlich schneller.
Kapitel 9: Timmelsjoch bis Sölden (201.7 bis 225.5), 43,6 km/h, 151 Watt
Eigentlich wollte Heiko während des Rennens nicht auf seine Fahrtzeit schauen. Nachdem er aber von einem anderen Mitfahrer gefragt wurde, ob die 8h10 Minuten am Timmelsjoch reichen würden, um innerhalb von 9h ins Ziel zu kommen, wurde nun doch der Ehrgeiz ein wenig geweckt. Zum einen waren die 9h genau das selbst gesteckte Ziel und zum anderen erschien es im Rahmen des Möglichen, innerhalb von 50 Minuten nach Sölden zu kommen. Also entschied man sich, die letzten Kilometer gemeinsam aufs Gas zu drücken (da wo möglich). Da sich beide Fahrer die Kräfte gut eingeteilt hatten, ging es dementsprechend flott Richtung Ziel. Umso erstaunter war Heiko, als er bereits nach 8h40Minuten und 35 Sekunden vor einer überwältigenden Menschenmenge durchs Ziel fuhr. Damit wurde das eigene Ziel von 9 Stunden deutlich übertroffen, jedoch die Qualifikation für den ersten Startblock, denkbar knapp, um nur 35 Sekunden verpasst. Der Ärger darüber war aber nach 10 Sekunden verflogen.
Fazit
Für fast alle Fahrer, insbesondere die jenseits von 75 Kilo, ist der Ötztaler Radmarathon genauso Radrennen, wie Fresswettkampf. Auch wenn die Nahrungsaufnahme unter Last im Vorfeld geübt wurde, war jeder Riegel und jedes Gel eine Überwindung und der Magen fühlte sich immer latent schlecht an. Nichtsdestotrotz konnte Heiko im Rennen ca. 3700 Kcal essen (7 Liter Iso, 6 Riegel, 13 Gels, 1 Banane und 1 Apfel). Stellt man dies einem geschätzten Kalorienverbrauch von 5800 kcal gegenüber, so war dies zusammen mit den körpereigenen Energiespeichern gerade ausreichend, um nicht leerzulaufen.
Die erste Teilnahme war alles in allem ein großer Spaß und deutlich erfolgreicher als gedacht. Bei sinnvoller Fahrweise kann man das Rennen in Zukunft, sofern man die Lotterie gewinnt, auch mal mit weniger guter Form in Angriff nehmen. Gerne natürlich auch mit noch besserer Form ;-).