Mit bewährter Zwischenstoppstrategie vor bzw. nach dem Fernpass reisten Egerts, Sven und Daniel an. Auf der Freitagsfahrt kam das Führungsfahrzeug bei Kempten in ein wirklich extremes Unwetter (Äste auf der Fahrbahn, Tempo < 10km/h zum Teil), was fast eine halbe Stunde Fahrzeug kostete. Dank Lade- und Essensstopp konnten die beiden nachfolgenden Autos nur noch die Überreste des Unwetters sehen. Nachdem im Vorjahr der Stau am Brenner schon vorhanden war, wurde bei Daniel und Sven das Frühstück in Berwang geskippt und bereits 10:30 Uhr war das Quartier erreicht – und das Zimmer war sogar schon kurz nach 11 bezugsfertig. Kurz nach 12 waren alle da und das traditionelle Mittagessen in Biba’s mit Eis folgte. Der Einkauf wurde noch erledigt und auf Wunsch von Katie wurde die Vorjahreseinrollrunde reinkarniert. Das Segment bis zur Kirche wurde leider durch eine Gravelpassage verkürzt – Moritz konnte bereits mit sehr guter Form glänzen – Daniel musste im Nils Politt Style nach 2/3 rausnehmen.
Auf dem Bremsbelagtestabschnitt ging es dann zu viert nach Pergine und dann wurde hinterm Castel Schwung geholt, um fast bis zum Quartier zu rollen. Kurz noch in den warmen Lago und dann Pizza essen – die Temperaturen sind dieses Jahr mit <30 Grad sehr moderat. Strava or didn’t happen.
Aufgrund etwas unsicherer Wetterprognosen wurde der Ruhetag um einen Tag vorverlegt. Sebastian nahm diesen wörtlich und blieb weg vom Rad. Der Bergfloh fuhr schon kurz nach 9 los, um dieses Mal erfolgreich beim Mittagessen auf den Rest zu treffen. Das erste Segment des Cap Formentors wurde im Vorfeld als „Team Ineos Leistungstest“ beworben und es galt die Teambestzeit von 8:56 zu schlagen. Nicht alle Teilnehmer ließen es auf einen Versuch ankommen, manch einer fuhr mit 1:1 Übersetzung im Plauschtempo hoch. Das Wetter war recht warm und der Wind war Vormittags fast komplett eingeschlafen. Moritz fuhr den Anstieg flott an, was wegen der noch sehr niedrigen Steigungsprozente eine Geschwindigkeit nördlich der 40km/h Marke bedeutete. Heiko und Daniel konnten davon profitieren, Stefan reihte sich hinter Sven ein. Bei knapp der Hälfte übernahm Daniel die Führungsarbeit, Heiko musste abreißen lassen und Stefan konnte eine Lücke zwischen Sven und sich bringen. Moritz wurde kurz vorm Ziel noch durch ein Auto welches unnötig mittig fuhr aufgehalten. Dennoch konnten alle genannten Fahrer ihre persönlichen Bestleistungen verbessern. Martins Form konnte ebenfalls überzeugen, denn er unterbot beide abgegebenen Zeitschätzungen. Nach 2 Jahren Vollsperrung und zwei Jahren Mallorcaabstinenz konnte endlich wieder bis zum Leuchtturm pedaliert werden. Im Abschlussbericht werden dann noch die professionellen Streckenfotos der Mallorca Cycling Photos präsentiert. Das Mittagessen (die bis dato beste Paella) wurde direkt am Yachthafen verspeist. Die Rückfahrt erfolgte im Verband, bis Konstantins Vorderreifen platt war – Schlagloch auf der Abkürzung in Alcudia. Ein Quartett verblieb, um den Reifenwechsel zu betreuen, auf dem Weg zum Hotel kamen dann schon ein paar Läufer entgegen. Danach testen diverse Triathleten noch ihre mitgebrachten Ganzkörperverhüllungen im Meer, während die anderen Fahrer der Sauna (nach 3 Fails des Autors) mit Aufguss zelebrierten.
Als Sven noch im japanischen Kyoto lebte und dort oft mit seinem italienischen Bekannten Giordano die Hausberge befuhr, wuchs der Plan heran, einmal das benachbarte Taiwan gemeinsam mit dem Rennrad zu erkunden. Diese Idee war aber aufgrund von pandemiebedingten Reisebeschränkungen zu jener Zeit nicht in die Tat umzusetzen. Gut zwei Jahre später, war ihnen das Schicksal (zumindest vorerst, siehe unten) dann aber wohlgesonnen und durch einen glücklichen Zufall fiel eine Dienstreise Svens nach Japan (um einen langersehnten Artikel fertig zu schreiben, siehe arXiv:2309.17308 [math.RT]) genau mit Giordanos Reiseplänen nach Taiwan zusammen, sodass sich beide Reisen trefflich kombinieren ließen.
Die Planung der einwöchigen Reise mit dem Rad durch das taiwanesische Inland wurde weitestgehend von Giordano und seiner taiwanesischen Freundin Jean übernommen, sodass Sven nur für Anwesenheit mit funktionierendem Material (Rose Pro SL 105) in Taipeh am vereinbarten Starttag sorgen musste. Ein weiterer Vorteil (zumindest in der Theorie, mehr dazu weiter unten) war die Existenz eines Begleitfahrzeuges. Denn nur zwei der fünf Reiseteilnehmer (plus ein Taiwanhund) waren selbst angetrieben unterwegs. Das Gepäck mussten die Rennradler daher nicht selber transportieren. Svens ablehnende Haltung gegenüber Bikepacking ist zumindest in Japan wohlbekannt.
Blick vom Begleitfahrzeug aus auf die Radfahrer
Anreise und Fahrradtransport über Japan nach Taiwan verliefen problemlos. Doch dann die böse Überraschung: Taifun Koinu (japanisch für Welpe) kündigte sich an, Taiwan volle Breitseite zu geben. War das Schicksal also doch nicht auf der Seite des deutsch-italienischen Radfahrergespanns? Es blieb spannend.
Geplant waren fünf Fahrradtage, mit den (im wahrsten Wortsinne) Höhepunkten am ersten und letzten Tag. Taiwan ist im Wesentlichen eine sich von Nord nach Süd erstreckende Bergkette im Pazifik. Gipfel von knapp viertausend Metern Höhe machen eine Querung mühsam, und so überrascht es nicht, dass es nur zwei intakte Ost-West-Verbindungen gibt. Einmal den weltberühmten Wulin-Pass im Norden (in 90 km von Meereshöhe auf 3275 m und somit der zweitlängste durchgehend asphaltierte Anstieg der Welt, international bekannt als Taiwan KOM Challenge), und im Süden der Insel den nicht minder beeindruckenden Southern Cross-Island Highway mit 2722 m Höhe. Vor allem durch häufige und starke Regenfälle verursachte Erdrutsche machen beiden Pässen zu schaffen und bedingen ständige Reparaturen und gelegentliche Sperrungen.
Die Idee war jedenfalls, am ersten Radtag von Hualien im Osten den Wulin-Pass in westlicher Richtung zu bewältigen (also genau die Route der berühmten KOM Challenge), den Pass dann aber im Westen abzufahren und die Reise im Inland nach Süden fortzusetzen. Am fünften Tag sollte es dann über den Southern Cross-Island Highway wieder nach Taitung an der Ostküste gehen, wo ein ganz besonderes Erlebnis (ohne Fahrradbezug) auf die Reisegruppe wartete.
Tag 1: KOM Challenge
Glück im Unglück: der Taifun gab der Reisegruppe noch eine Galgenfrist und so konnten Sven und Giordano den Wulin-Pass am Vortag des Taifuns bei „bestem“ Wetter (Sonnenschein und tropisch schwüle 33 Grad im Tal, noch 26 Grad auf 2500 m) angehen. Es war klar, dass Wasser die Hauptsorge sein dürfte. Entlang des 90 km langen und 3275 m hohen Anstieges gibt es bis auf ganz am Anfang und Ende keine Möglichkeit Wasser nachzufüllen. Aber es gab ja ein Begleitfahrzeug, dessen Mitfahrer die beiden Radfahrer mit Trinkwasser versorgen sollten. Blöd nur, wenn besagtes Fahrzeug in einer Straßensperre steckt. Der Pass musste nämlich an mehreren Stellen von Erdrutschen befreit werden und war nur intervallweise befahrbar. Den Radfahrern gelang es, mit etwas Glück, den gesamten Pass mit nur zehn Minuten Zwangspausen zu bewältigen, das Begleitfahrzeug hing aber irgendwann so hoffnungslos zurück, dass klar wurde, dass die bei den schweißtreibenden Temperaturen dringend notwendige Wasserversorgung ausfallen würde. Das war ein Problem, ein großes Problem. Die Radfahrer versuchten, bei etwas reduziertem Tempo möglichst sparsam zu trinken, merkten aber bei über zweitausend Metern Höhe eine einsetzende Dehydrierung. Die Taiwaner sind zum Glück ein sehr hilfsbereites Volk und vor allem die zahlreichen Motorradfahrer, die immer nett zu winken wussten, solidarisierten sich mit den beiden einsamen Radfahrern: bei einer kurzen Baustellenpause spendierten sie großzügig zwei Liter Wasser aus ihrem persönlichen Vorrat. Die Baustellenwärterin brachte dann sogar noch eine Kleinigkeit zu essen.
Aufstieg zum Wulin-Pass durch die Taroko-Schlucht
Gestärkt und mit neuem Mut ging es dann an das letzte (und mit Abstand steilste) Drittel. In der Tat ist der Wulin-Pass gerade am Anfang sehr flach. Dort bummelten und schwätzten die Radfahrer und ließen aus Befahrungssicht sicherlich einige Minuten liegen. Andrerseits war es gerade auch der Plan, für die letzten eintausend Höhenmeter noch einigermaßen frisch zu sein. Diese wurden alsbald erklommen und nach etwa fünfeinhalb Stunden (bereinigt) erreichten die Radler erschöpft, aber wieder gut gelaunt die Passhöhe. Geschafft! Auf der Passhöhe herrschte reges Treiben und man traf einige posierende Radfahrer, die dem Anschein nach aber nur die letzten zweihundert Höhenmeter mit dem Rad bewältigt hatten. Nun gut. Nach einer kurzen Wanderung (Sven barfuß, da mit SPD-SL unterwegs) auf den Gipfel genossen die beiden Radfahrer die phänomenal lange Abfahrt in Richtung Südwesten und erreichten kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Unterkunft in Lishan, wo ein Festmahl bereitet aus frischem Gemüse und Obst der lokalen Bauernhöfe auf sie wartete.
Die gesamte Passstraße war übrigens bis auf die zwei, drei Erdrutsche hervorragend asphaltiert.
Wulin-Pass (3275 m)
Tage 2 – 4: Durchs Inland
Um den geneigten Leser nicht zu ermüden, seien die nächsten drei Etappen nur kursorisch erwähnt. Es ging über (teils 60 km lange ohne eine einzige Abzweigung) Nebenstraßen durch das taiwanesische Inland (mit Zwischenhalten am Sonne-Mond-See, in Alishan und Baolai). Dort begegneten die beiden Radfahrer streunenden Hunden, Affen und sehr netten taiwanesischen Ureinwohnern, die oft im Vorbeifahren zuwinkten oder aus dem Moped oder Kleinlaster heraus (auf Chinesisch oder in ihrer eigenen Sprache) anfeuerten. Man merkte: hierhin verirrt sich selten ein Rennradfahrer. Nur einhundert Kilometer von Taipeh entfernt, eine ganz andere Welt. Die Straßen waren wieder erstaunlich gut asphaltiert (der Darmstädter freut sich darüber ja immer besonders), aber auch hier mussten wieder zahlreiche Erdrutsche überwunden werden. Ein Gravelrad wäre sicher von Vorteil gewesen. Sven (zur Erinnerung: mit SPD-SL) entschied sich alles vorsichtig zu fahren, während Giordano (mit SPD) sich oft zum Schieben entschied. Doch dank des ausreichend hoch gewählten Reifendruckes blieben die beiden Radfahrer während der gesamten Reise von Platten verschont. Landschaftlich wechselten sich tropischer Urwald und Tee-, Kaffee-, Kohl- und Palmenplantagen ab. Auf dem Fahrrad wurde es nie langweilig.
Bleibt zu erwähnen, dass das Fahrrad-Duo (mit Ausnahme eines nassen vierten Tages) vom Taifun verschont blieb. Die Berge schirmten es hervorragend vom im Osten des Landes wütenden Wirbelsturm (die Tagesschau berichtete) ab.
Am fünften Tag hätte die West-Ost-Überquerung des 2722 m hohen Southern Cross-Island Highways stattgefunden. Leider stellte sich am Vorabend heraus, dass die Passstraße auf der Ostseite temporär in eine Richtung für Wiederherstellungsarbeiten gesperrt ist. Vielleicht sollte man sagen: zum Glück. Hätte sich dies erst auf der Passhöhe herausgestellt, wären über 300 km nötig gewesen, um die Unterkunft zu erreichen. Eine Katastrophe. Also ging es stattdessen mit dem Auto und einem notwendigen Umweg fast bis zur Südspitze Taiwans bis nach Chishang und am Folgetag ins benachbarte Taitung. Auf dem Weg inspizierte die Fünfergruppe riesige Buddha-Statuen und Tempel.
Tage 5 – 6: Höhepunkte ohne Rad
Aus kultureller Sicht war sicherlich der letzte Reisetag der Höhepunkt der Reise. Die Reisenden hatten die großartige Gelegenheit, am Musikfestival eines Stammes von Eingeborenen (der Amis) teilzunehmen, das alle zwei, drei Jahre stattfindet und mit einigen Tausend Besuchern gut besucht war. Auf die Besucher warteten ein Umzug von Amis (nach Geschlecht und Altersgruppen sortiert) und befreundeten Stämmen in festlichen Trachten, eine gute Mischung aus traditioneller und populärer Musik in austronesischen Sprachen sowie eine hervorragende Verpflegung bestehend aus lokalem Essen und japanischem Bier. Die Aufforderung der Festivalleitung war eindeutig: trinkt und habt Spaß zusammen. Dies wurde von den allermeisten Teilnehmern, uns eingeschlossen, auch sehr fleißig befolgt.
Die Amis bewohnen die ansonsten eher dünn besiedelte Ostküste Taiwans und zeichnen sich im Vergleich zu anderen Stämmen durch besonders farbenfrohe Gewänder aus. Die Männer trugen schwarze, neonfarbenverzierte Miniröcke, teils gekonnt gepaart mit weißen, hochgezogenen Nike-Tennissocken. Aus modischer Sicht ein absoluter Hingucker. Taiwan gilt als die Urheimat der austronesischen Sprachen, zu denen auch Indonesisch und Filipino gehören. Somit kommt dem Erhalt der Sprachen der Ureinwohner Taiwans eine ganz besondere Bedeutung zu. Und was gibt es Besseres, als dies mit einem großen Fest zu verbinden. Ein einmaliges Erlebnis!
Normalerweise wird die samstägliche Anreise nach Calceranica zu einer für die Erholung (laut 2 von 3 Fahrern) optimalen Startzeit von ca. 4 Uhr nachts angegangen – dieses Jahr gab es ein Novum und die Anreise wurde mit Zwischenstoppstrategien aus Lana bzw. Österreich verkürzt. Dank traffico eccezionale wurde trotzdem weniger Zeit gewonnen als erhofft, dafür konnten die zahlreichen Tunnel auf einer umgehenden Landstraße bewundert werden.
Sowieso konnte die Unterkunft aber erst um 17 Uhr in Empfang genommen werden. Ursächlich waren umfängliche Staubsaugarbeiten, deren Erfolg dank zwei (im Mittel) Kleinstkindern aber bereits am nächsten morgen obsolet waren. Ungewöhnlich spät ging es deshalb auf die Einrollrunde. Der Name „Einroll“-runde erklärt sich, da man für eine solche im Idealfall einen Weinhang wählt, auf dem Geschwindigkeit und andere fahrdynamische Eigenschaften in der Tat besser durch das Wort rollen als fahren beschrieben werden können. In der Abfahrt wurde bemerkt, dass die Bremsleistung des aus Holland importierten Materials suboptimal war. Dieses Problem wurde auf morgen vertagt.
Am ersten offiziellen Gemetzeltag sollte der Kaiserjägerweg befahren werden. Zuvor wurden die Bremsen des Ridley inspiziert und für dringend austauschnötig eingestuft – offenbar hat das holländische Gebirge seine Spuren hinterlassen. Der notwendige Zwischenstopp am Fahrradladen in Caldonazzo (der sich als besser ausgestattet als erwartet und sehr hilfsbereit herausstellte) mitsamt Montagearbeiten sollte sich als der spaßigste Teil der Tour herausstellen. Danach ging es steil bergab, leider nicht im wortwörtlichen Sinne. Die Passstraße ist mit 8km relativ kurz, was allerdings kein Problem darstellt, da mit dank absurder Steilheit (im Mittel 10%, wobei der Mittelteil Flachstücke zwischen 8-9% bereithält, die man aber im vorletzten 12%-Kilometer kompensiert bekommt) trotzdem genug Höhenmeter überwunden bekommt. Freude an dem Anstieg hatte jedenfalls höchstens der Tourenplaner. Es wird vermutet, dass die Ansetzung der Etappe eine Homage an Mike Cotty ist, dessen 50rpm Wintertraining (bei dem er selbst eine 95er Kadenz aufrechterhält) nicht von allen Fahrern gewürdigt wurde.
Nach dem Pass wurde ein Restaurant angesteuert, in dem zwei von drei Fahrer den Apfelstrudel testeten, während der dritte Fahrer aus mannigfaltigen Gründen versuchte, nicht zu kotzen. Der Rest der Tour war dann unspektakulär. Der Rest des Tages wurde mit Mittagsschlaf bzw. Montagearbeiten am zweiten Problemfahrrad verbracht.
Da mit dem hervorragenden Trainingsauftakt der Mehrheit der Fahrer ihre Grenzen aufgezeigt wurden, konnte die Dreiergruppe so auch für den nächsten Tag in drei Einer-Formationen aufgespalten werden (Team Daniel wird dabei durch Katie unterstützt gewesen worden sein).