Darmstadt-Würzburg: Am Limit

Oft schon hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mal eine Tour mit an die 200km zu fahren. Dank Unterkunft in Würzburg, traumhaftem Wetter und „Transportfahrzeug“ zurück konnten die Bedingungen an gestigem Donnerstag kaum besser sein. Bis auf den starken Nord-Ost-Wind, aber dazu später mehr. Den Kommentaren meines Vaters „von Darmstadt nach Würzburg, das sind ja so ungefähr 100km“ kann ich nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Der hat in Gedanken seine Route ja auch nicht über Neunkirchen, Krähberg und Hesselbach geplant.

Hier die Dokumentation von 201km „Einzelzeitfahren“:

0 Km: Wild entschlossen mache ich mich auf den Weg. Angepeilt ist ein Schnitt von über 27 km/h was angesichts des starken Nord-Ost-Windes einigermaßen ambitioniert erscheint.

25 Km: Im Flachstück vor der berühmten Neunkirchner Linkskurve schließe ich auf eine Dreiergruppe Rennradler auf. Als einer der drei versucht eine Attacke zu setzen gehe ich mit und ziehe ihn im steilen Stück richtig ab. Dafür geht der Puls kurz auf 178 aber bei nur noch 176km Reststrecke kann man sowas ja mal machen.

40 Km: Erfreut stelle ich fest, dass von einer Baustelle auf der B460 bei Weschnitz noch nichts zu sehen ist. Die Route kann also wie geplant gefahren werden.

60 Km: Etwas übermotiviert habe ich das Komplettaufgebot eines Frankfurter Radsportclubs am Krähberg zerlegt. Ich beschließe den Berg nach Hesselbach sehr ruhig zu fahren und schiebe den ersten Powerbar-Riegel des Tages ein.

81 Km: Zwischen Auerbach und Mudau fahre ich erstmals in nord-östlicher Richtung. Ich beginne zu erahnen, was mich später noch erwartet.

90 Km: Vor der Ortsdurchfahrt Unterneudorf versprechen die Verkehrsschilder 16% Gefälle – die Abfahrt kann was, Höchstgeschwindigkeit 76,7 km/h. Beim Gegenhang spüre ich zum ersten Mal die Beine.

94 Km: Wie geplant wird der erste Stopp des Tages in Buchen eingelegt. Im Ortsinneren bestelle ich zwei große Getränke und während ich auf den obligatorischen Apfelstrudel warte checke ich die Daten der ersten Streckenhälfte: 94km, 1490 Höhenmeter, 29,4er Schnitt. Der Strudel im „Restaurant Löwen“ schmeckt übrigens wirklich gut. Ich fülle meine Trinkflaschen auf und wundere mich, warum die Polizei gerade die Straße vor dem Restaurant absperrt.

94,1 Km: Vor mir taucht eine marschierende Blaskapelle auf. Des Rätsels Lösung ist gefunden.

100 Km: Sowohl gefahrene als auch noch zu fahrende Kilometer sind dreistellig. Eine Premiere…

105 Km: Auf leicht abfallendem Terrain und günstigem Wind habe ich den Schnitt auf 30,1 km/h gedrückt. Ab jetzt gibt es nur noch Gegenwind.

125 Km: Das Garmin lenkt mich auf eine ca. 1m breite „Straße“ Richtung Schollhof und Windischbuch. Ich bin schon zu fertig um dem Ganzen zu misstrauen. Völlig zu Recht, wie sich herausstellen sollte.

135 Km: Ein historischer Moment: Vor Bobstadt sehe ich am gegenüberliegenden östlichen Hang eine bergauf führende Straße und hoffe, dass diese nicht auf meinem Weg liegt. Ich liege falsch.

142 Km: Ich bestelle in Assamstadt eine Cola und fülle zum zweiten Mal meine Flaschen. Die Frau an der Theke glaubt nicht, dass ich schon 142km gefahren bin.

153 Km: Gerade habe ich noch die erste Abfahrt seit langem genossen und nun rege ich mich furchtbar über den blöden Penner auf, der für den Anstieg nach Löffelstelzen unbedingt statt des 3,5km langen Anstiegs entlang der Hauptstraße die 2km sparende Kurzvariante eingeplant hat. Bei 7,5 km/h, 22% Steigung und 100% Schmerzen in den Beinen lasse ich viele Fahrer hinter mir. Ich bin der einzige, der hier noch fährt.

177 Km: „Scheiß verfickte Drecksstrecke, irgendwann muss es doch mal richtig runtergehen“ schreie ich auf die einsame Straße durch Sulzdorf, nachdem ich bestimmt zum 10. Mal zunächst 30 Höhenmeter gemacht und diese sofort wieder verloren habe. Fehlanzeige. Wenigstens rege ich mich über den furchtbaren Wind, der mir nun schon 72km direkt ins Gesicht bläst, nicht mehr so sehr auf. Im Gegensatz zu mir scheint der aber von Minute zu Minute stärker zu werden.

181 Km: Die unflätigen Ausdrücke aus Sulzbach sind geflegtem Halbwissen über Geographie und mittelalterlichen Städtebau gewichen: „Die haben die Städte doch an Flüsse gebaut, wegen dem Wasserzeugs da. Und Flüsse liegen doch immer im Tal.“

194 Km: Ich hatte Recht. Und direkt nach der Abfahrt ist auch schon das „Würzburg“-Schild. Vor Glück möchte ich ganz genüsslich vorbeifahren, doch das würde den Schnitt ruinieren.

200 Km
: Katie hatte Recht, es gibt am Ende wirklich eine „Bergankunft“. Noch nie haben 50 Hm auf 1km derartig weh getan. Ich kann meine Beine kaum mehr bewegen. Ich überhole noch einen Carbonrenner – das zugehörige Looser-L ist gefühlte 137 Kilometer hoch.

201 Km: Im Ziel. Dass nach über 7h Fahrzeit, gut 2800 Hm und 96km ununterbrochen gegen den Wind noch ein Schnitt über 28 km/h herausgekommen ist, grenzt an ein Wunder. Wie gut es mir noch geht, beschreibt das Foto unten ganz gut.

2 Kommentare

  1. Ganz ehrlich, ab wann hats keinen Spaß mehr gemacht 😀

    Ich mache wohl irgendwas falsch, soviele Parker habe ich bei einem ganzen Monat Training nicht 🙁 😉

  2. Die Parker-Situation war äußerst angenehm, war aber auch die erste Tour seit langem, in der ich mich mit denen „duellieren“ konnte 😀

    Meine Reaktion bei Kilometer 177 spricht natürlich nicht für Spaß^^ Ging aber bis 170 wirklich mit Spaß und als ich bei Kilometer 190 Würzburg im Tal gesehen hab, war der Spaß auch wieder zurück 🙂

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